Krank zur Arbeit: Präsentismus durch Resilienz vermeiden
|
Lesezeit: ca. 8 Minuten
- Präsentismus bedeutet, dass Mitarbeitende trotz gesundheitlicher Beschwerden zur Arbeit gehen, anstatt sich zu erholen.
- Die Gründe für Präsentismus sind vielfältig – ebenso die Folgen. Die negativen Auswirkungen betreffen sowohl die Mitarbeitenden als auch die Unternehmen.
- Eng verbunden mit dem Präsentismus sind Menstruationsbeschwerden. Periodenschmerzen bringen für Betroffene einige Herausforderungen im Arbeitsalltag mit sich und sind ein oft übersehenes Problem.
- Eine starke und widerstandsfähige Unternehmenskultur hilft dabei, Präsentismus zu verringern.
- Durch gezielte Maßnahmen können Unternehmen Resilienz vor Ort und bei den einzelnen Mitarbeitenden fördern.
Krank zur Arbeit zu gehen, trotz körperlicher oder mentaler Beschwerden – das ist Präsentismus. Vor allem Periodenschmerzen werden oft einfach übergangen. Wie lässt sich eine Arbeitskultur schaffen, die Gesundheit und Produktivität fördert? Resilienz und zyklusorientiertes Arbeiten bieten Lösungen für einen gesunden Arbeitsalltag. Erfahren Sie, wie eine resiliente Unternehmenskultur wirklich helfen kann.
Jedes Unternehmen kennt es: Je kälter es wird, desto öfter werden Mitarbeitende krank. Erkältungen, Grippe oder saisonale Infekte breiten sich aus. Aber nicht alle nehmen sich die nötige Zeit, um sich auszukurieren. Viele kommen trotzdem ins Büro oder arbeiten im Homeoffice weiter. Das Phänomen hat einen Namen: Präsentismus.
Ein starkes Pflichtbewusstsein, eine hohe Loyalität gegenüber Kolleginnen und Kollegen oder die Unterschätzung der Krankheit sind mögliche personenbezogene Gründe.
Arbeitsbezogene Gründe haben die Ursache oft in einem zu hohen Arbeitsdruck, engen Fristen oder der Unterbesetzung im Betrieb. Die Unternehmenskultur kann ebenfalls Einfluss darauf nehmen. Werden Abwesenheit oder Krankheit als Schwäche angesehen, führt dies zu Druck bei den Mitarbeitenden und sie gehen trotz Unwohlsein zur Arbeit.
Wie weit verbreitet Präsentismus ist, zeigt eine Umfrage der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS) aus dem Jahr 2015. Etwa 42 Prozent der Angestellten in der EU hatten im vorherigen Jahr mindestens einmal krank gearbeitet.
Folgen von Präsentismus
Präsentismus und dessen Folgen sind vielseitig.
Für chronisch kranke Menschen kann Präsentismus auch Vorteile bringen. Denn zur Arbeit zu gehen, obwohl man körperlich angeschlagen ist, ist für Menschen mit chronischen Erkrankungen Alltag. Mitarbeitende mit chronischen Erkrankungen fühlen sich oft besser integriert, wenn sie trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen arbeiten können. Der Arbeitsplatz bietet Struktur und ein Gefühl von Normalität.
Gleichzeitig führt Präsentismus zu einer Vielzahl an negativen Effekten, die die positiven überwiegen.
Besonders nach der COVID-19-Pandemie und dem starken Anstieg der Arbeit im Homeoffice hat Präsentismus neue Herausforderungen geschaffen. Im Homeoffice fällt es vielen schwer, eine klare Grenze zwischen Arbeit und Erholung zu ziehen. Dadurch schaffen sie es nicht, genug Pausen zu machen und sich richtig auszukurieren. Zudem ist es im Homeoffice kniffliger, die eigene Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Das führt oft zu Stress und Überbelastung und erschwert die vollständige Genesung.
Unterschied zwischen jüngeren und älteren Generationen
Es gibt beim Präsentismus nicht nur Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitsmodellen, sondern auch zwischen den Generationen. Besonders ältere Generationen gehen selten bis nie krank zur Arbeit – das zeigt eine deutschlandweite Studie der TK-Krankenkasse aus dem Jahr 2022. Laut der Studie gehen knapp 75 Prozent der über 60-Jährigen nie krank zur Arbeit. Im Vergleich dazu: Bei jüngeren Angestellten sind es nur knapp 50 Prozent.
Präsentismus und Periodenschmerzen: Ein oft übersehenes Problem
Doch es besteht nicht nur ein Unterschied zwischen den Generationen, der den Präsentismus beeinflusst. Es gibt noch weitere, oft übersehene Faktoren. Ein Beispiel ist die Situation von Menschen, die während ihrer Menstruation trotz starker Schmerzen arbeiten. Periodenschmerzen sind weit verbreitet, werden aber oft unterschätzt.
Eine repräsentative niederländische Studie hat über 32.000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren untersucht und gezeigt, dass menstruationsbedingte Symptome einen erheblichen Einfluss auf die Produktivität haben. 81 Prozent der Befragten gehen trotz Beschwerden zur Arbeit. Dieser Präsentismus führt zu einem durchschnittlichen Produktivitätsverlust von etwa 23 Tagen pro Jahr. Präsentismus hat größere Auswirkungen, als bewusst krankgeschrieben zu sein.
Wie zyklusorientiertes Arbeiten die Produktivität beeinflusst – Ein Gespräch mit Franziska Ruhnau
Das Thema Menstruation ist immer noch in vielen Teilen der Gesellschaft ein Tabu. Es ist wichtig, offen und ohne Vorurteile darüber zu sprechen. Deshalb haben wir mit Franziska Ruhnau gesprochen.
Franziska Ruhnau ist zertifizierte systemische Coach, Zyklus Coach und Sozialwissenschaftlerin. Sie kennt sich mit zyklusorientiertem Arbeiten aus und weiß, wie stark sich der Zyklus auf die eigene Produktivität auswirkt.
Warum ist es wichtig, Menstruation und Zyklus im Arbeitskontext mehr Aufmerksamkeit zu schenken?
»Als Coach für zyklusorientiertes Arbeiten sehe ich tagtäglich, wie stark der Menstruationszyklus unsere Energie, Produktivität und unser Wohlbefinden beeinflusst. In einer Arbeitswelt, die oft auf lineare und konstante Leistung ausgerichtet ist, ignorieren wir, dass unsere Körper zyklisch funktionieren. Vor allem für menstruierende Menschen ist das von großer Bedeutung, da hormonelle Schwankungen direkte Auswirkungen auf unsere körperliche und mentale Verfassung haben können.
Es ist wichtig, diesem Thema mehr Raum zu geben, denn nur so können wir wirklich nachhaltige Arbeitsbedingungen schaffen. Flexible Arbeitszeiten, mobile Arbeitsmodelle und vor allem die Akzeptanz von natürlichen Leistungsschwankungen sind zentrale Aspekte. Wenn wir uns zugestehen, dass es Phasen gibt, in denen wir nicht auf unserem Höchstlevel arbeiten, schaffen wir nicht nur ein gesünderes Arbeitsumfeld, sondern fördern auch langfristig die Produktivität.
Das konstante Abrufen von 100 % Leistung ist schlichtweg eine Illusion. Jeder Mensch hat Tage, an denen es nicht so läuft, sei es wegen Zyklusbeschwerden, Krankheit oder emotionalen Herausforderungen. Wenn wir einen offenen und wertschätzenden Umgang mit diesen natürlichen Schwankungen fördern, können wir nicht nur die Arbeitseffizienz, sondern auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden steigern.«
Was bedeutet das für Unternehmen?
»Für Unternehmen bedeutet dies, Rahmenbedingungen zu schaffen, die hormonelle Unterschiede nicht ignorieren, sondern integrieren. Das Wissen darüber, dass Leistung nicht immer linear verläuft, und der Mut, offen über den Menstruationszyklus zu sprechen, schaffen ein Umfeld, in dem sich alle Mitarbeitenden – ob menstruierend oder nicht – unterstützt und verstanden fühlen.
Letztlich geht es darum, Menschlichkeit in den Arbeitsalltag zu bringen. Kein Mensch ist jeden Tag gleich leistungsfähig, und das zu akzeptieren, ist eine der größten Formen der Selbstfürsorge, die wir uns und anderen im Arbeitskontext zugestehen können.«
5 Tipps unserer Expertin für eine unterstützende Unternehmenskultur
- Wissen über hormonell bedingte Unterschiede: Führungskräfte sollten sich über die Auswirkungen hormoneller Schwankungen auf die Leistungsfähigkeit informieren und dies in ihre Arbeitsstrukturen integrieren. Zugleich sollte auch Wissen für alle Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise durch Workshops zur Weiterbildung, wie man mit dem Zyklus am Arbeitsplatz umgehen kann, sowie Infos im Intranet und im Arbeitsgebäude.
- Kostenfreie Menstruationsprodukte und Support: Bereitstellung von kostenfreien Menstruationsprodukten auf allen Toiletten, Care-Boxen mit Schmerzmitteln, dunkler Schokolade, Teesorten, Wärmflaschen etc. Diese kleinen Dinge machen einen riesigen Unterschied, wenn man von der Menstruation auf der Arbeit überrascht wird.
- Offenheit und Transparenz: Ein offener Umgang mit dem Thema Menstruation und Zyklus trägt zur Enttabuisierung bei und schafft ein Umfeld, in dem sich Mitarbeitende verstanden und unterstützt fühlen.
- Flexible Arbeitsbedingungen für alle: Nicht nur menstruierende Menschen, sondern auch andere Mitarbeitende profitieren von flexiblen Arbeitsbedingungen, die individuelle Bedürfnisse berücksichtigen.
- Menschlichkeit anerkennen und für gesundheitliche Bedürfnisse sensibilisieren: Es sollte ein Verständnis dafür geben, dass Mitarbeitende keine Maschinen sind, sondern Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Phasen, in denen sie nicht immer zu 100 % leistungsfähig sind.
Resiliente Unternehmenskultur als Lösung
Präsentismus führt oft dazu, dass Mitarbeitende weniger produktiv sind und langfristig gesundheitliche Probleme bekommen.
Eine starke und widerstandsfähige Unternehmenskultur hilft dabei, dieses Problem zu verringern. Resilienz spielt hierbei eine Schlüsselrolle, da sie sowohl die individuelle Widerstandsfähigkeit als auch die kollektive Anpassungsfähigkeit des Unternehmens stärkt.
Offene Kommunikation, ein starkes Gesundheitsbewusstsein, psychologische Sicherheit und Unterstützung prägen diese Unternehmenskultur. Eine solche Arbeitsumgebung kann langfristig helfen, Präsentismus zu verhindern.
Langfristige Vorteile einer resilienten Unternehmenskultur
Studien wie der Fehlzeitenreport 2021 zeigen, wie wichtig Resilienz für die Gesundheit am Arbeitsplatz ist. In Unternehmen mit resilienten Mitarbeitenden gibt es weniger Krankmeldungen und Präsentismus. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die Resilienz im Unternehmen niedrig ist.
Auch die persönliche Resilienz eines Mitarbeitenden spielt eine große Rolle. Resiliente Menschen werden seltener krank und haben nicht das Gefühl, krank zur Arbeit kommen zu müssen.
- Steigerung von Produktivität und Motivation: Wird das Wohlbefinden der Mitarbeitenden wertgeschätzt und Resilienz gefördert, steigen die Motivation und das Engagement. Sie sind leistungsfähiger, engagierter in ihren Aufgaben und anpassungsfähiger.
- Reduktion von Präsentismus und krankheitsbedingter Ausfälle: Achten Personen mehr auf ihre psychische und körperliche Gesundheit, verringern sich krankheitsbedingte Fehlzeiten und Präsentismus. Längere Fehlzeiten, zum Beispiel durch psychische Überlastung oder Burnout, werden dadurch gesenkt.
- Bindung von Mitarbeitenden: Eine resiliente Unternehmenskultur führt zu einer stärkeren Bindung der Mitarbeitenden ans Unternehmen. Mitarbeitende fühlen sich respektiert und unterstützt. Das sorgt dafür, dass die Fluktuation sinkt und Mitarbeitende langfristig im Unternehmen bleiben.
- Besserer Umgang mit Krisen und Veränderungen: Ein resilientes Unternehmen ist besser in der Lage, auf interne und externe Krisen zu reagieren. Ob wirtschaftliche Herausforderungen, technologische Veränderungen oder gesellschaftliche Umwälzungen: Eine resiliente Kultur bereitet das Unternehmen darauf vor, sich schneller und effektiver anzupassen.
- Starke Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil: Ein Unternehmen, das Resilienz und Wohlbefinden der Mitarbeitenden fördert, hebt sich positiv vom Wettbewerb ab. Dies wirkt sich nicht nur auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden, sondern auch auf die Arbeitgebermarke positiv aus.
Resilienz im Unternehmen stärken
- Förderung von Selbstfürsorge und Work-Life-Balance: Unternehmen können Programme zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit wie Betriebssport, Meditation, psychologische Betreuung und Stressbewältigungsschulungen einrichten. Flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice helfen Mitarbeitenden, ihre Arbeitsbelastung zu managen und eine gesunde Work-Life-Balance zu erreichen.
- Ressourcen für psychische Gesundheit bereitstellen: Achtsamkeitstrainings oder regelmäßige Gesundheits-Check-ups am Arbeitsplatz fördern das Bewusstsein für die eigene Gesundheit und reduzieren Stress.
- Positive Fehlerkultur ermöglichen: In einer offenen Fehlerkultur werden Fehler als Chance gesehen, etwas zu lernen. Mitarbeitende entwickeln keine Angst davor, Fehler zu machen. Stattdessen ermutigt man sie, Risiken einzugehen und neue kreative Ideen ausprobieren. Eine Fehlerkultur stärkt nicht nur die individuelle Resilienz, sondern auch die kollektive Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit des Teams.
- Stärkung der Teamkultur und Zusammenarbeit: Teambuilding-Maßnahmen stärken die kollektive Widerstandsfähigkeit und geben den Mitarbeitenden das Gefühl, dass sie in Krisenzeiten aufeinander zählen können.Kollegiale Netzwerke helfen bei der Wissensweitergabe und schaffen Vertrauen unter den Mitarbeitenden.
- Förderung einer offenen Kommunikationskultur: Transparenter Dialog und Feedback sind wichtig für die Kommunikation im Unternehmen. Eine resiliente Unternehmenskultur lebt von offener Kommunikation. Mitarbeitende können ihre Sorgen äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.
- Führungskräfte als Vorbilder: Führungskräfte fördern Resilienz, indem sie wertschätzend und unterstützend handeln, statt Druck auszuüben. Regelmäßige Coachings für Führungskräfte helfen dabei, die Widerstandsfähigkeit der Mitarbeitenden zu erkennen, und tragen zu einer gesunden Unternehmenskultur bei.
Offenheit und Empathie als Schlüssel für eine gesunde Arbeitskultur
Unternehmen sollten gesunde Arbeitsbedingungen schaffen, um Präsentismus zu verhindern. Ein gutes Arbeitsumfeld, klare Aufgaben und die Vermeidung von Überlastung fördern die Gesundheit der Mitarbeitenden. Dadurch wird sowohl die physische als auch die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden unterstützt.
In einer resilienten Unternehmenskultur stehen die Mitarbeitenden an erster Stelle. Sie wissen, dass es in Ordnung ist, sich zurückzunehmen, wenn sie es brauchen. So bleiben sie länger leistungsfähig und fühlen sich sicher. Sie trauen sich, offen über ihre Gesundheit zu sprechen und kommen nicht aus Pflichtgefühl zur Arbeit, wenn sie krank sind.
Besonders für menstruierende Mitarbeitende, die oft unter den Symptomen leiden, ist Flexibilität bei der Arbeit wichtig. Eine offene und gesunde Arbeitskultur ist dafür ausschlaggebend. Sie hilft, den Produktivitätsverlust zu verringern und das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern.