Die persönliche Beratung ist noch wichtiger geworden
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1970 in Köln gegründet, zählt die OVB-Gruppe heute zu den führenden europäischen Allfinanzvertrieben. 2023 ist das erste volle Geschäftsjahr nach Ende der Pandemie und zugleich eines der strategischen Neuausrichtung: Ende 2022 wurde die vorige Strategieperiode abgeschlossen, nun wird die neue verabschiedet. Zeit für ein Fazit und einen Blick nach vorne.
NJ: Im vergangenen Jahr haben Sie Ihre Strategieperiode „OVB Evolution 2022“ abgeschlossen. Wie fällt Ihr Fazit aus? Inwieweit hat die Pandemie die Umsetzung der Strategie beeinflusst, behindert oder auch beschleunigt?
Freis: Wir haben uns in den vergangenen fünf Jahren entlang unserer vier Strategiebausteine Potenzialausschöpfung, Digitalisierung, Modernisierung und Expansion deutlich weiterentwickelt. Die Pandemie war eine große Herausforderung, hat aber die digitale Transformation sicherlich beschleunigt.
Seit dem Start der Strategieperiode haben sich unsere Kennzahlen deutlich verbessert: Die Anzahl unserer Kunden ist um mehr als 900.000 auf 4.27 Millionen angestiegen, die Zahl unserer Finanzvermittler hat sich von 4702 auf 5772 erhöht und die Erträge aus Vermittlungen sind seit 2017 von € 225.3 Mio. um nahezu 50 % auf € 331.9 Mio. gewachsen.
NJ: Im laufenden Geschäftsjahr wollen Sie die Nachfolgestrategie „OVB Excellence 2027“ verabschieden. Wo werden die Schwerpunkte liegen?
Freis: Mit „OVB Excellence 2027“ wollen wir an unsere erfolgreiche Vorgängerstrategie anknüpfen. Im Mittelpunkt stehen nach wie vor unsere Kunden. Wir haben zusätzlich vier Fokusthemen identifiziert, entlang derer wir unser zukünftiges Wachstum forcieren werden.
Im Bereich „Sales and Career Excellence“ werden wir unsere Kernvertriebsaktivitäten weiter stärken und optimieren. Mit dem Fokusthema „Expansion and Innovation“ planen wir, die weitere Expansion innerhalb Europas voranzutreiben. Darüber hinaus werden wir innovative Ansätze für unsere Kunden, Finanzvermittler und Mitarbeiter identifizieren und verfolgen. Unter „Operational Excellence“ verstehen wir die konsequente Umsetzung innovativer und durchgängig automatisierter digitaler Prozesse. Im Bereich „People and Organisation“ wollen wir unsere Mitarbeiter im Konzern noch zielgerichteter qualifizieren und fördern sowie die länderübergreifende Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, Backoffice und Holding stärken.
NJ:Bei konzernweit mehr als 4 Mio. Kunden müssten Sie einen guten Überblick über Trends und Kundenwünsche zur Beratung im Zeitalter von Digitalisierung und „Disruption“ haben. Ist das persönliche Gespräch ein Auslaufmodell?
Freis: Im Gegenteil, die persönliche Beratung ist sogar noch wichtiger geworden. Wir gehen zwar davon aus, dass sich der Online-Vertrieb bei einfachen Versicherungsprodukten wie Kfz- oder Reiseversicherungen immer weiter etablieren wird, aber in Zeiten von Krieg, Inflation und Zinswende schätzen unsere Kunden den vertrauensvollen Austausch vor allem, wenn es um komplexere Themen wie Altersvorsorge, Risikoabsicherung und Immobilienfinanzierung geht. Das zeigen auch die Ergebnisse unserer Kundenumfrage, die wir 2022 europaweit durchgeführt haben. Ob es dann die persönliche Beratung vor Ort − face-to-face − oder online, z. B. via Videocall ist, entscheiden unsere Kunden zusammen mit unseren Finanzvermittlern im Alltag situativ.
NJ:Ein Hebel für Wachstum liegt in der regionalen Expansion. Zuletzt haben Sie 2022 in Slowenien eine Landesgesellschaft gegründet. Als Zielregionen nennen Sie Portugal, Luxemburg und das Baltikum. Wie weit sind Sie dort? Denken Sie eher an Neugründungen oder an die Übernahme existierender Organisationen? Wie lange dauert es im Schnitt, bis neue Ländergesellschaften profitabel sind?
Freis: Bezüglich unserer Expansionsbestrebungen steht momentan Portugal im Fokus. Das ist für uns ein großer und spannender Markt mit starken Wachstumsraten. Auch in Luxemburg haben wir bereits erste Schritte zur Marktsondierung unternommen. Das Baltikum steht auf unserer zukünftigen Agenda.
Grundsätzlich präferieren wir organisches Wachstum. Dennoch kann es in Einzelfällen Sinn ergeben, durch einen Unternehmenskauf einen neuen Markt zu erschließen. Wenn wir uns mögliche Akquisitionsziele ansehen, dann müssen diese Unternehmen sehr genau zu uns und unserer Unternehmenskultur passen. Wann neue Landesgesellschaften profitabel sind, lässt sich nicht pauschal beziffern und ist von unternehmens- und marktspezifischen Gegebenheiten beeinflusst. OVB verfügt aber auf Grund ihres langjährigen Engagements in sehr unterschiedlichen nationalen Märkten über umfassende Erfahrungen im effizienten Auf- und Ausbau von Finanzvertrieben.
NJ:Ihre Dividendenpolitik liegt nahe bei der Vollausschüttung. Wollen Sie daran festhalten? Freis: In der Tat lassen wir unsere Aktionäre mit einer im Marktvergleich hohen Ausschüttungsquote sowie kontinuierlichen Dividenden an unserem Erfolg teilhaben. Mit einem Jahresschlusskurs von € 22 lag die Dividende für das Geschäftsjahr 2022 bei € 0.90 je Aktie, was einer Dividendenrendite von 4.1 % entspricht. An unserer Ausschüttungspolitik wollen wir auch in Zukunft festhalten.
NJ:Auf EUEbene wird seit langem ein Provisionsverbot für Finanzdienstleistungen bzw. Beratung diskutiert. Nun ist es erstmal vom Tisch, soll aber in drei Jahren wieder evaluiert werden. Das Damoklesschwert bleibt also. Wäre ein Provisionsverbot das Ende der OVB? Freis: Die Diskussion über Vergütungssysteme in der Finanzberatung taucht über die Jahre regelmäßig auf nationaler und europäischer Ebene auf. Wir beobachten diese Entwicklung sehr aufmerksam und begrüßen, dass ein allgemeines Provisionsverbot in den aktuellen Entwürfen der EU-Kleinanlegerstrategie nicht mehr enthalten ist. Ein Provisionsverbot würde zu einer erheblichen Beratungslücke insbesondere für weniger wohlhabende Haushalte führen.
Für unsere Geschäftstätigkeit wäre dies natürlich ein spürbarer Einschnitt, unsere Dienstleistung würde aber weiterhin gebraucht werden. Intern haben wir verschiedene Szenarien analysiert, wie auf ein solches Verbot reagiert werden könnte. OVB hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass wir uns gut an gesetzliche Regulierungen anpassen können. Dies wird auch in Zukunft so sein.
NJ:Der Freefloat liegt bei lediglich 3 %. Ist eine Steigerung denkbar – indem Großaktionäre Anteile abgeben oder indem Sie neuen Aktionären im Wege einer Kapitalerhöhung einen Einstieg ermöglichen?Freis: Eine Steigerung des Freefloat wurde von Aktionärsvertretern bereits verschiedentlich in Hauptversammlungen adressiert. Eine Kapitalerhöhung ohne wirtschaftliches Erfordernis, allein zum Zwecke einer Erhöhung des Freefloat, ist nicht geboten. Großaktionäre könnten abgeben, aber uns sind keine konkreten Überlegungen bekannt.
NJ: Herr Freis, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Oliver Vollbrecht